Santos

– Heldentaten, die keiner braucht

A FILM BY ULI M SCHUEPPEL

DigiBeta; 43min; col; dolby st; Germany 2005

PREMIERE: Hofer Filmtage 2005

 

SANTOS – Heldentaten, die keiner braucht / Heroic Deeds, No One Needs from schueppel-films on Vimeo.

Dies ist die wahre Geschichte des letzten Helden.
Dies ist die Geschichte von Santos.
Es ist das Lied von Santos. Der Traum, die Trance, der Tanz des Unbewussten.
Die Reise des Kindes, des Punks, des übriggebliebenen, des Alleingelassenen, in
der verlassenen Stadt Berlin oder irgendwo.

Gefangen zwischen Nacht und Tag, zwischen gestern und keiner Zukunft. In der Begegnung mit Kreaturen wie ihm selbst, dem Zwerg, dem Cowboy, dem toten Schwein, tut Santos als gäbe es noch Helden in dieser vergessenen Welt. Im Kampf gegen Keinen vollführt Santos Heldentaten, die keiner braucht. Aber Santos fiel auf die Erde seiner übernatürlichen Kräfte beraubt. Und mit ihnen verlor er den Grund seiner Existenz.

„DIE ZUKUNFT DES KINOS SIND FILME, DIE KEINER BRAUCHT

… weil er sich allen Erklärungsmustern verweigert. Was das angeht, war die gewagteste Arbeit in Hof sicher das Gemeinschaftswerk des Schauspielers Ben Becker mit seinen Kumpels Uli M Schüppel und Peppi Streich: SANTOS – HELDENTATEN, DIE KEINER BRAUCHT. Mit Catchermaske zieht Becker durch eine Berliner Silvesternacht, macht dabei allerlei sinnloses Zeug, das aber jedes Mal vor und hinter der Kamera mit dem Schlachtruf „Santos!“ begrüßt wird. Der dreiviertelstündige Film bewegt sich an der Grenze zum Ulk, aber gewinnt durch die Ungerührtheit, mit der er seinen Weg geht, zunehmend an Witz und Sinn als Persiflage auf andere Superhelden, deren Heldentaten letztlich kaum mehr Gewicht haben. Und womöglich ist das ohnehin das Beste, was sich heutzutage von einem Festival sagen lässt: dass es Filme zeigt, die keiner braucht!“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (faz), Michael Althen, 30.11.2005

 

„Santos – Heroic deeds – no one needs“
ein Gespräch mit Uli M Schueppel zum Film im „Wohnzimmer“, Berlin, 19. Oktober 2005

Wie konnte ein solcher Film wie „Santos – Heldentaten…“ überhaupt entstehen?

Die Drehphase von „Santos…“ erstreckte sich sporadisch von Winter 2000 bis ins Jahr 2003. Stimmte der Moment, die Nacht, der Morgen, war die Maske parat und eine Kamera zur Hand, dann legten Ben Becker und Peppi Streich los. Als würden sie zusammen Musik machen. Von 2003 an habe ich mich, ebenso sporadisch, bis 2005 mit Konzeption, Dramaturgie und Montage in dem insgesamt 46 stündigen Mini-DV-Material vergraben. Insgeheim kam es mir manchmal so vor, als wollten wir das Projekt nie veröffentlichen – nie abgeben. Wie privat ist das eigentlich?, dachte ich dann. Und: Geht das überhaupt jemand Anderen was an? Kann und will damit überhaupt jemand etwas anfangen? Und wer von uns könnte sagen, wann, sowohl vom Dreh, als auch vom Schnitt her, ein derartiges Projekt je „fertig“ ist? Wir hätten wohl alle damit noch eine Ewigkeit verbringen können…

Sind fünf Jahre Entstehungszeit für einen solch „kleinen Film“ nicht schon lang genug?

Natürlich, aber mit „Ewigkeit“ meinte ich auch noch etwas anderes. Denn womöglich haben wir, und viele unserer Zuschauer, damit auf ganz andere Weise schon „ewig“ verbracht… Jedenfalls als mir Becker und Streich ab und an das jeweils gerade entstandene Drehmaterial vorführten, da war das, neben meinem Erstaunen und manchmal ungläubigen Kopfschütteln, auch immer ein „Wiedererkennen“. Derart abstrakt, traurig-komische, poetische Szenen kenne ich aus meinen Träumen. Aber nie hatte ich vorher Derartiges gefilmt gesehen. Aber ich kannte so etwas. Ich kenne das ganz genau! Und das macht natürlich auch Angst, so etwas plötzlich „wach“ zu sehen. Und wie sollte daraus überhaupt ein Film entstehen? Beim Träumen schaut ja auch niemand zu…

War denn überhaupt je geplant daraus einen Film zu machen?

Aus dem Drehmaterial lässt sich die ungefilterte Freude am Spielen, am Improvisieren, einfach am Abfliegen mit der „Santos“-Figur spüren. Da geht es nur um den Moment und die Energie, die aus der Situation und im Umgang mit der Kamera entsteht. Und so bin ich dann auch ran, einfach mit einer immensen Lust am Projekt, an der Figur, an diesen wahnwitzigen Bildern. Da ging es nie darum, was das nun werden soll, oder Fragen der Dramaturgie, oder all den Ballast, den man als Filmemacher sonst so mit sich trägt. Als absolute No-Budget-Produktion spielte Geld, Produktion, Fernsehen, Förderungen, etc hier sowieso keine Rolle. Und so gab es plötzlich auch keinerlei Zwänge mehr. Alles ist richtig und alles ist wahr! Das scheinbar, von Thema und Story her, unkonzentrierte Material war die größte Herausforderung, aber auch die größtmögliche Inspiration. Denn tatsächlich war hier alles möglich. Und alles war anders, als ich es von sonstigen Produktionen her kenne. Und das, obwohl ich ja schon einige so genannte „Underground“-Produktionen abgeliefert habe… Aber dieser Film, wenn man es überhaupt als „Film“ bezeichnen will, sprengt nun wirklich jedes Genre. Dokumentarfilm, Fiktion, Home-Movie, Installation? Ich meine, es ist ein „Spiel“-Film geworden – im wahrsten Sinne!

Wie sind Sie in der Montage und Konzeption des Filmmaterials vorgegangen?

Am Anfang vom Schnitt her ganz konventionell. Ich habe zum Beispiel versucht nachträglich eine Art Auflösung herauszukristallisieren, habe clipartige Versionen entwickelt, usw. Aber all das funktionierte emotional überhaupt nicht. Erst nach vielen Monaten mit dem Material, und völlig fehlgeleiteten Schnittversuchen, wurde klar, dass es hier gar nicht um das eigentliche (Zer-)Schneiden, bzw andererseits „Glätten“ oder „Säubern“ des Materials gehen darf. Die Szenen, ihre Entstehung und ebenso ihre Auflösung, ihre raue Unmittelbarkeit, mussten zumeist in ihrer kompletten Länge beibehalten und für die Zuschauer nachvollziehbar bleiben. Nur dieses Miterleben, dass da gar kein Drehbuch etwas dem Schauspieler, seiner Umgebung und der Kamera vorgibt, lässt einen wirklich „teil-haben“. In all der Künstlichkeit, die natürlich schon das Thema vorgibt, ist man so trotzdem „dabei und dran“.

Ja, das ging mir auch so. Der Film „Santos…“ geht auf ganz vielen Ebenen unter die Haut…

Weil sich auch immer etwas völlig Unvorstellbares zwischen der agierenden Kamera von Peppi Streich und der „Santos“-Kreation von Ben Becker entwickelt. Das „Ich“ der Kamera, die atmet, lacht, und mit z“Santos“-Rufen den Darsteller immer wieder zu „Heldentaten“ antreibt (die nun wirklich keiner braucht…) lässt überhaupt nur die traumhaft subjektive Erzählperspektive möglich werden. Und nur so und damit ließ sich von meiner Seite das ganze Material als diese tiefe „Reise ins Unterbewusste“ bearbeiten, die mir vorschwebte.

Wenn Sie von einer „Reise ins Unterbewusste“ sprechen, dann gibt es also in dem Film doch so etwas wie einen klassischen Weg des Protagonisten?

Aber natürlich. Das Ganze ist auch „relativ-klassisch“ in drei Akten aufgebaut. Darüber habe ich jetzt aber keine Lust zu sprechen. Das erinnert zu sehr an Filmanalyse. Und genau damit ist dieses Projekt nicht mehr zu greifen. Wenn man so rangeht, entgleitet einem, worauf es bei „Santos…“ eigentlich und wirklich ankommt. Dann hat man nichts gefühlt. Und wird auch nichts mehr fühlen.

Lassen Sie uns trotzdem noch mal auf den Protagonisten eingehen. Welche Figur hatte Ben Becker da vor Augen? Haben Sie sich da miteinander abgestimmt?

Nein, haben wir gar nicht. Ich muss gestehen, wir haben eigentlich nie über etwas Inhaltliches bei „Santos…“ geredet. Da besteht einfach ein gegenseitiges Vertrauen. Ben Becker, und auch Peppi Streich, wussten wohl aus unserer langjährigen Freundschaft heraus, und auch, weil wir ja schon einige Male zusammen gearbeitet haben (Anmerk. d. Verf.: „Sid&Nancy/Ex&Pop 96; „Planet Alex“ 2000), dass „Santos…“ bei mir in „guten Händen“ ist. (er lacht)

Aber noch mal zu dieser merkwürdigen Heldenfigur…

Ich habe mich bei der Arbeit immer an eine abstrakt-moderne Adaption der Figur des „Don Quichote“, inklusive eines Sancho Pansa an der Kamera, erinnert gefühlt. Nur jetzt, Jahrhunderte später, ist der „Held“ selbst nur noch Reduktion seiner eigenen (Vor-)Zeichen (und Hoffnungen…). „Santos“ muss nicht einmal mehr versuchen Monster(-Windmühlen) zu bekämpfen. Er geistert durch mythologischen Abfall, durch metaphorischen Restmüll , durch eine matte Abstraktion von Wirklichkeit: der Zwerg, das tote Schwein, der leere Bus, der wie ein Geisterschiff vorbeidriftet, oder ein aus den Angeln gehobener Telefonkasten als Reflektion absoluter Sprachlosigkeit. Es gibt nichts mehr zu retten, weil die Fiktion, und die darin implizierte Hoffnung, längst verloren gegangen ist. Es bleibt nur die Realität, und darin, die sich selbst immer wieder in Erinnerung rufende Pose des letzten Helden. Der heutige Held ist selbst das allertraurigste und armseligste Monster…

 

idee & santos BEN BECKER

buch & montage ULI M SCHUEPPEL

kamera & inszenerierung PEPPI STREICH

mit:
PET ER KUHN, PETER LUPPA, WALTER POTTS, LEANDER HöRMANN,
ARMIN EBERT, JOHANNES KREIS, a.o..

musik:

BOB RUTTMAN (lucid & rotation)
DAVID BOYSEN (santos-lied)

titel-animation STEFANIE SIXT
mastering: DAS WERK, BERLIN

dank an
BONFINI-Ristorante
WHITE TRASH FAST FOOD
DER SCHWARZE RABE

Produktion: BECKER/SCHUEPPEL/STREICH, Berlin